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Wie man einen 500er fliegt

von Balthasar Zaugg 8. März 2019

 

„Du musst einen Blog schreiben“ liess Urs, unser Präsident nicht locker. „Jetzt wo du einen 500er gemacht hast, musst du darüber schreiben, das motiviert die andern“. Das war im letzten Sommer. Seither hat er keine Gelegenheit ausgelassen, mich mit der ihm eigenen charmanten Art zu piesacken. Wenn ich also über meine „Streckenflugerfahrung“ berichte, dann nicht weil ich meine, mich mit jenen messen zu müssen, die über mehrere tausend Stunden Flugerfahrung verfügen, sondern weil ich unter Androhung von Dingen die hier zu erwähnen der Anstand mir verbietet – wie gesagt charmant , aber eben doch - dazu gezwungen wurde.

 

 

 

Nach Abschluss meiner Segelflugausbildung 2011 ging ich in völliger Unkenntnis der Sachlage und daher relativ zuversichtlich davon aus, es müsse doch zumindest ein Buch auf dieser Welt geben, das mir das Streckenfliegen soweit zu erklären vermag,  dass ich es in der nächsten Saison umsetzen könnte. „Streckenflug für Dummies“ oder so. Ich habe mich getäuscht. Das heisst es gibt sie schon, die Streckenflugbücher, aber sie sind erstens so dünn gesät, dass sie auch ein nur mässig begabter Schreiner bequem an einer Hand zusammenzählen kann und zweitens ist das was drin steht für den Anfänger, der heiss darauf ist, jetzt endlich mal Strecke zu machen, nur bedingt hilfreich. Theoretisch ist ja schnell einmal klar, wie man von Aufwind zu Aufwind kommt. Dafür braucht’s keinen Abschluss in Quantenphysik. Dumm nur, stehen in natura die Wolken deutlich weiter auseinander, als auf der netten Graphik im Buch. Die Sollfahrttheorie ist gut und recht, nur hilft sie mir herzlich wenig, wenn ich den Flieger kurz vor Erreichen des nächsten Aufwindes wende, weil mir die eigenen Zweifel bezüglich meines Gleitwinkels definitiv plausibler erscheinen, als das was mir das Navi vorrechnet. Auch die gezielten Übungen, die zur Ertüchtigung des ambitionierten Segelflugpiloten vorgeschlagen werden, halfen mir - vermeintlich - wenig weiter. Jedes Mal noch tiefer in ein und denselben Schlauch eindrehen, wird da zum Beispiel empfohlen. Eine super Übung, aber genau das hatte ich die letzten gefühlt 300 Stunden über dem Gupf  mehr oder weniger freiwillig praktiziert doch genützt hat’s offensichtlich nichts. Lange fliegen konnte ich schon lange, aber weit Fliegen war ja mein Ziel!

 

Rückblickend habe ich nun schon begriffen: Ein Streckenflug besteht aus einer langen Kette zum Teil komplexer Einzelaufgaben, die zu allem Übel meist auch noch gleichzeitig erledigt werden wollen. Da wir grundsätzlich nicht dafür geschaffen sind, mehrere Dinge simultan zu erledigen, müssen wir uns eines Kniffs bedienen: Wir  üben die entsprechenden Tätigkeiten so lange, bis sie automatisch ablaufen oder zumindest nicht mehr unserer vollen Aufmerksamkeit bedürfen. Lernen braucht Zeit. Viele Dinge lernen braucht viel Zeit. Wer also wie ich davon ausgeht ein Jahr nach Segelflugprüfung weitere Strecken zu fliegen wird mit ziemlicher Sicherheit enttäuscht, ausser er ist sehr talentiert oder sehr mutig. In Anbetracht der Vielzahl der zu erfüllenden Aufgaben kann es DEN ultimativen Tip, der auch den durchschnittlich Begabten sofort zum Streckenflugpiloten macht gar nicht geben. Es bleibt uns wohl oder übel nur, wie in den oben erwähnten Streckenflugbüchern empfohlen, die einzelnen Teilschritte zu üben, um sie dann wenn der Moment kommt abrufen zu können. Welche Themengebiete es waren, die mir persönlich „Streckenflugerfolge“ ermöglichten, möchte ich in diesem Blog beschreiben. Zudem sei all jenen die an sich zweifeln gesagt: Das mit dem Streckenfliegen kommt schon, ihr müsst nur fliegen, womit  ich elegant zum ersten Punk, den Haupttugenden des Segelflugpiloten übergeleitet hätte.

Geduld, Ausdauer und immer wieder fliegen

Es braucht schon ein gesundes Mass an Frustrationstoleranz, den andern bei ihren Berichten von Streckenflügen zuzuhören während man selbst soeben von einem dreistündigen Flug um den Gupf gelandet ist und sich die Frage stellt: „Wie zum Teufel machen die das bloss?!“ Ich  habe im Herbst 2009 mit ersten Schnupperflügen begonnen und die Ausbildung im Mai 2011 abgeschlossen. Bis und mit 2015 geschah in Bezug auf Streckenflug nicht viel obwohl ich regelmässig geflogen bin. Nicht, dass ich keine weiteren Strecken fliegen wollte, aber irgendwie ging das einfach nicht oder es verliess mich im entscheidenden Augenblick der Mut. Ich fragte die anderen jeweils um Rat, wenn sie heldenhaft von für mich so unerreichbar „fernen Orten“ wie Hasliberg oder  Niederhorn zurückkamen. Immer musste ich mich mit derselben Antwort begnügen: „Das kommt schon. Du musst nur Geduld haben und immer wieder fliegen, das kommt schon“. Am Anfang glaubte ich ihnen noch, später war „ja genau, du mich auch“, das Höflichste was mir dazu in den Sinn kam. Aber sie sollten recht behalten es kam schon, nur eben viel später und bis dahin hatte ich ausgiebig Gelegenheit mich in den drei Haupttugenden des Segelflugpiloten zu üben: Geduld, Ausdauer und eben immer wieder fliegen.

Streckenfliegen setzt eine Vielzahl in der Regel nicht angeborener Fähigkeiten voraus, die zu erlernen vor allem eins benötigt: Viel Flugzeit.  Anders ausgedrückt kann man auch sagen, dass der Erfolg – im Gegensatz zu vielen anderen Sportarten - deutlich mehr von der Erfahrung abhängt als vom Equipment. Man kann sich den Erfolg nicht kaufen, man muss ihn sich erfliegen. Das ist einerseits hart, andererseits der Hauptgrund, warum ich immer noch fliege. Es braucht seine Zeit um sich all das anzueignen, was wichtig ist und man kann sich immer verbessern.  

Erst ab 2016 begannen meine Flüge langsam länger zu werden. Jörg, der mich immer wieder zum fliegen ermunterte meinte lapidar: „Siehst Du, es wirkt!“ Strecken von um die 250km lagen nun regelmässig drin, 2017 flog ich erstmals alleine 345km, 2018 mehrmals über 400km und dann eben auch den ersten 500er. Also: Glaubt den alten Hasen. Streckenfliegen braucht viel Übung. Wer es immer wieder versucht, wird Erfolg haben.

Die kleinen Fortschritte sehen

Klar,  wer Strecken fliegt, möchte möglichst weit kommen. Wer den Erfolg aber nur an den erflogenen Kilometern festmacht wird zwangsläufig enttäuscht. Wenn weit fliegen einfach wäre, würde sich wahrscheinlich niemand dafür interessieren. Zudem spielt das  Glück am guten Tag Zeit gehabt, einen Flieger erhalten zu haben, zur richtigen Zeit starten zu können und vieles mehr eine nicht unwesentliche Rolle.

Wenn grosse Strecken das Ergebnis unzähliger mehr oder weniger kleiner Fortschritte sind, warum sollte man sich nicht darüber freuen? Zum ersten Mal den Brienzersee sehen,  unter einer tiefen TMA durchfliegen, sich trauen mit einer Infofrequenz Kontakt aufzunehmen, zum ersten mal auf einem Flug konsequent die Frequenz des nächstliegenden Flughafens gerastet zu haben,  zum ersten mal dem Endanflugrechner vertrauen und von Emmen mit 1500 müM nach Hause fliegen, zum ersten Mal bei Blauthermik von Aarau durchs Mittelland nach Hause kommen, zum ersten Mal ... Das sind alles wichtige Teilschritte, die die grosse Strecke möglich oder zumindest wahrscheinlich machen. Freut euch darüber. Segelfliegen ist mehr als Kilometer sammeln.

Ortskenntnis

In der Luft ist man bekanntlich nur noch halb so schlau.  Man muss also mit halbem Hirn fliegen, dabei den Funk im Ohr und die Umgebung im Auge behalten und an Lufträumen vorbei navigieren.  Zumindest für mein halbes Hirn eine ziemliche Herausforderung mit relativ dünner Trennlinie zum Stress. Kennt man sich in einer Gegend aus vermindert sich der Workload beträchtlich und man hat wieder Kapazität für die eigentliche Aufgabe das effiziente Fliegen, was wiederum Voraussetzung dafür ist, gescheit Strecke zu machen.

Generell ist eine gute Vorbereitung zu Hause unerlässlich. Nimm dir mal  in Ruhe die Segelflugkarte vor und checke ab, ob Du wirklich alles verstehst was drauf steht. Klingt lapidar aber mit Fragen über die Segelflugräume im Jura und/oder zum Beispiel bei Hausen am Albis hab ich schon so manchen ausgewiesenen Streckenflugpiloten schwitzen sehen und zwar am Boden,  nicht in der Luft. Ich notiere mir jeweils die für mich wichtigen Informationen am Anfang der Saison direkt in die neue Segelflugkarte. Ein gutes Tool insbesondere für den Alpenraum ist auch Google Earth. Die 3D-Darstellung gibt einem ein besseres Gefühl für das Gelände als eine 2D-Karte.

Das gezielte Vorbereiten eines bestimmten Fluges ist meiner Erfahrung nach schwierig und zwar aus dem einfachen Grund, dass es häufig komplett anders kommt als geplant. Man bereitet einen Flug ins Berner Oberland vor, am Glaubenberg merkt man „das wird nix“, quert zum Jura und muss sich mehr oder weniger hektisch mit der TMA-Basel auseinandersetzen.

Ortskenntnis und da sind wir wieder beim Thema Geduld kann man sich nicht kaufen und nur bedingt theoretisch aneignen man muss sie sich erfliegen. Hat man sich ein bestimmtes Gebiet aber erflogen, geht’s plötzlich viel viel besser.  Eine gute Möglichkeit sich diesbezüglich weiter zu bilden bieten Segelfluglager. Versucht sie so zu wählen, dass ihr die Gebiete später verbinden könnt also San Vittore – Münster – Saanen – Aalen.

Flieg mit anderen...

....und zwar idealerweise mit Piloten, die es besser können als du. Ob man das im Zweisitzer oder im Einsitzer im Pulk macht ist dabei nicht so entscheidend. Beides hat Vor- und Nachteile. Im Zweisitzer mit einem versierteren Piloten kommt man vielleicht eher mal dazu, über eine weitere Distanz zu fliegen. Im Einsitzer muss man aktiver dabei sein, hat die Strecke wirklich „selber“ geflogen. Dafür läuft man eher mal Gefahr trotz aller Hilfe der anderen abzusaufen. Mit „im Pulk“ meine ich nicht nur „Fliegen in Sichtweite“ voneinander. Das ist häufig schwierig und oft verliert man sich trotz aller Bemühungen. Mir persönlich hat auch das Fliegen „in Funkweite“ zu den anderen viel gebracht. Hinweise auf Orte mit guter Thermik, Streckenwahl, Beurteilung der Wettersituation und so weiter können eigene Entscheidungen erleichtern und geben Sicherheit. Da ich weder ausgesprochen mutig noch besonders begabt bin, musste ich auch beim Fliegen mit andern zu Beginn die Erfahrung machen, dass selbige alle weiter flogen als ich. Trotzdem gelangen mir dabei Flüge, die meine Erwartungen deutlich übertrafen. Zudem kriegt man im Vergleich auch ein besseres Gefühl für das Potential des Tages. Man sieht, wie weit „die Erfahrenen“ gekommen, oder eben wo auch sie abgesoffen sind. An dieser Stelle drängt es sich geradezu auf, noch einige Worte über Segelfluglager zu verlieren. Kurz: Besucht sie, es lohnt sich. Man kann sich zu 100% aufs Fliegen konzentrieren, man hat am Abend und am nächsten Tag ja nichts anderes vor. Anders als im Alltag ist es daher auch nicht so „schlimm“ mal eine Aussenlandung zu machen. Es gibt Selbstvertrauen, von einem fremden Flugplatz aus zu operieren. Man fliegt immer in irgendeiner Form mit anderen. Abends bleibt genügend Zeit die geflogenen Strecken zu vergleichen, zu analysieren und man wird animiert seine Grenzen zu erweitern. So kam ich im Segelfluglager Aalen unter anderem zu meinem ersten Flug über 400km. Als mir Jörg beim Frühstück vorschlug die TMA von Nürnberg zu umfliegen und ich realisierte, dass es sich dabei um eine Strecke von ca. 500km handelt kamen mir ehrlich gesagt schon erhebliche Zweifel an seiner Zurechnungsfähigkeit.  Trotzdem liess ich mich darauf ein und wurde belohnt. Zwar flogen wir nicht ganz um die TMA herum aber bis Bayreuth und wieder zurück reichte es und ich hatte meinen ersten Flug über 400km.

Fazit

Wie genau also fliegt man nun einen 500er? Die ultimative Antwort auf diese Frage wird man nie erhalten. Trotzdem lohnt es sich zu fragen, selbst diejenige die noch nie 500km geflogen sind. Jeder hat so seine Tricks oben zu bleiben und weiter zu kommen, ob er nun 50, 500 oder 1000km weit geflogen ist. Weite Flüge kann man nicht erzwingen, aber es ist möglich sie wahrscheinlich zu machen. Welche Faktoren dabei aus meiner Sicht eine Rolle spielen, habe ich oben versucht darzustellen.  Ich hoffe, damit möglichst vielen Lust aufs Streckenfliegen und jenen die es schon lange versuchen genügend Mut gemacht zu haben, dran zu bleiben. Habt Geduld, bleibt dran und fliegt immer wieder.


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